Deldar Felemez
Stimme der Abwesenheit
Die Bilder des kurdisch-syrischen Malers und Dichters Deldar Felemez erzählen in symbolischen Chiffren von seinen eigenen Leiden als politisch-humanitär Geflüchteter. Die neue, eigens für diese Ausstellung entstandene Werkgruppe nimmt Bezug auf den Gedichtband «Spiegel der Abwesenheit» seines syrischen Lyrikerfreundes Faraj Bayraqdār, der nach vierzehn Jahren als politischer Gefangener inzwischen im Exil in Stockholm lebt. Die Ausstellung erinnert ebenso an den kürzlich verstorbenen syrischen Schriftsteller Khaled Khalifa, der im vergangenen Jahr «Writer in Residence» am Literaturhaus Zürich war. Deldar Felemez' Kunst weist über die Tragik ihrer Inhalte hinaus – indem sie den Schmerz benennt, bannt sie ihn und weist voller Herz den Weg in eine friedvollere Zukunft.
Wären die Gedichte, die Faraj Bayraqdār in seiner Zelle auf Zigarettenpapier gekritzelt hatte, nicht herausgeschmuggelt worden, und hätten sie nicht ihren Weg bis zum PEN, dem internationalen Autorenverband, gefunden – wer weiss, was dann aus dem Dichter geworden wäre? Der PEN, kurz nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, setzte sich gemäss seiner friedensfördernden Charta für den inhaftierten Autoren ein und erwirkte damit schliesslich seine Freilassung. Das folgende Gedicht – und die hundert anderen, die im schmalen Bändchen «Spiegel der Abwesenheit», erschienen im Verlag Hans Schiler, versammelt sind, wären nie veröffentlicht worden:
Manche
messen die Zeit
am Ticken der Uhr.
Manche
messen sie
am Puls.
Ich aber habe keine Uhr,
mein Puls gehört mir nicht.
Wir sind sehr allein hier:
der Platz und ich.
14 Jahre verbrachte Faraj Bayraqdār in Gefängnissen des Assad-Regimes. Als Chefredakteur der Zeitschrift «Das Literaturheft» geriet er auf den Radar, weil er kritische Beiträge veröffentlichte. Vom Geheimdienst erneut verhaftet, diesmal wegen Mitgliedschaft in der Kommunistischen Aktionspartei, wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auf Grund der erwähnten Intervention des PEN kam er schliesslich im Jahr 2000 nach 7 Jahren und gesamthaft 14 Jahren Haft frei.
Es ist die Beschreibung eines allumfassenden Alleinseins, das Faraj Bayraqdārs Gedichte besonders erschütternd macht. Seine einzige Hoffnung ist die, «kein Nichts» zu werden. Nicht komplett zu verschwinden. So erschafft er sich, indem er dichtet, im oben zitierten Gedicht einen eigenartigen Partner: den «Platz». Den Ort, an dem er sich befindet. Die Zelle. Die Zelle wird ihm, dem nicht einmal mehr der eigene Puls «gehört», zu seinem Partner, der ihn weniger allein sein lässt.
Eines konnten ihm seine Peiniger nicht nehmen: die Fähigkeit, sich zu erinnern und Dinge auszudenken. Die Phantasie, die Erfindungsgabe, das Dichten. Seine Vergangenheit – und seine Zukunft. Wenn er kein Papier hatte, kritzelte er Gedichte in die Wände. Wenn das auch nicht mehr ging, behielt er sie im Kopf, in seinem Gedächtnis. Später beschreibt er auch, wie die Wörter, die Erinnerung an Gedichte und das Verständnis dessen, was er in seinen Kopf geschrieben hatte, allmählich wieder zu Tage traten.
Noch erschütternder als die Verhältnisse, die Lebensumstände, die er beschreibt, ist deshalb die Art und Weise, wie er in der Gefangenschaft ein Verhältnis zu sich selbst schafft, wie er dieses Verhältnis wieder aufzubauen versucht. Denn natürlich macht man sich in einer so miserablen Situation auch selbst zum «Nichts» – und wird sich so selbst zum Feind. Schreibend tritt Bayraqdār aus sich selbst heraus und wird sich selbst zu einem Gegenüber. Die Gedichte erheben ihn aus tiefster Verzweiflung und geben ihm Raum, der Wände durchdringt.
An Faraj Bayraqdārs Gedichtband «Spiegel der Abwesenheit», der auch Sänger schon inspiriert hat, orientieren sich Deldar Felemez' Bilder dieser Ausstellung. Felemez, selbst auch Dichter, der in Syrien fünf Bücher veröffentlicht hat und vor allem als Dichter bekannt ist, hat für diese Ausstellung 21 Bilder gemalt. In Syrien konnte er leben von seiner Kunst. Er hat sich eingefühlt in seinen Freund Faraj Bayraqdār und dessen Leiden. Es ist eine düstere Welt, die einem hier begegnet, in schrundiges Braun gepackt, das tatsächlich gekochte Erde ist, vermischt mit Kaffee. Felemez malt mit Erde und Kaffee. Wie auch schon 2019, als er im Helmhaus mit zwei über 10 Meter langen Wandbildern und einem Zyklus aus 365 Tagebuch-Bildern ans Licht der Zürcher Öffentlichkeit trat. Er habe sich damals in schlaflosen Nächten überlegt, was er auf den beiden monumentalen Wandbildern hervorheben sollte. Schliesslich entscheid er sich für zwei schwarze Tiere. Mit roten, verrückt gewordenen Augen und pechschwarz verkohltem Fell irrten sie ausweglos durch das Desaster des Kriegs. Seinen Sinn nicht verstehend, mit dem Kopf gegen die Wand. Für sie, die Tiere, sei der Krieg am allerschlimmsten, sagte Deldar.
Allegorien und Symbole verwendet er auch in der neuen Werkserie. Eine Uhr und ein Messer, mit einem Schlüsselchen. Das Düstere .
Simon Maurer, Stiftungsrat